Filmkritik: “Konklave” – Ein Hauch von Regenbogen im Vatikan
“Erhebe Dich, oh Herr, und halte Gericht, ein wilder Eber wütet in Deinem Weinberg.” Mit diesem Stoßgebet hoffte Papst Leo X. seinerzeit dem Treiben eines aufsässigen Mönches im norddeutschen Wittenberg Einhalt zu gebieten, der sich anschickte, die religiöse Landschaft Europas umzukrempeln. Aus Sicht der zumindest dem Namen nach offiziellen Erbwalter Martin Luthers wütet ein Eber heute des öfteren gerne mal im mecklenburgischen Bülow.
“Peter Hahnes Hasspredigt in Bülow: Geht’s noch!?” übertitelt die Evangelische Kirchenzeitung einen reißerischen Kommentar zu jüngsten Ungeheuerlichkeiten in dem idyllischen Weiler am Westufer des Malchiner Sees. Autorin Silke Voss beschreibt die Ketzerei so: “Denn der Ex-TV-Moderator weiß äußerst gestenreich im Schweiße seines über 70-jährigen Angesichts zu formulieren, was viele hören wollen. Und siehe da – auch in seiner aktuellen Predigt griff er nach Worten, die derzeit in der aufgeheizten Luft liegen, um sie in einem Topf zu einer Soße aufzukochen, in der populistische Plattitüden und pauschale Regierungskritik sich mit passend gemachten Bibelworten verbinden.“
Ungefähr Wortgleiches hätte auch Johann Tetzel anno 1517 nach Rom melden können. Immerhin schickte man von dort noch intellektuelle Großkaliber wie Thomas Cajetan oder Johannes Eck zum Disput und nicht eine Frau Voss, deren Erguss – um im Bild zu bleiben – nicht mal eine Soße ist, sondern eine dünne Brühe aus all dem, womit man heute so um sich wirft, um die eigene intellektuelle Dürftigkeit hinter Merkel-Pollern aus billigen Schlagworten zu verstecken. Hass und Hetze, Populismus und Umstrittenheit – mehr muss heute niemand zu schreiben in der Lage sein, um Andersdenkende zu diskreditieren. Argumente? Fehlanzeige.
Und was bitte sind “passend gemachte Bibelworte”? Hat Peter Hahne die Heilige Schrift verfälscht? Ein konkretes Beispiel präsentiert Frau Voss uns nicht. Stattdessen raunt sie, er habe gestenreich, meist mit gerade nach vorn ausgestrecktem Arm, kein Hehl aus seiner erzkonservativen Gesinnung gemacht. Was will sie uns damit sagen?
Beinahe ins Komische kippt der Beitrag der Kirchenzeitung, wenn dessen Autorin andeutet, es wäre irgendwie schon problematisch, dass die Bänke voll besetzt gewesen seien, “auch mit Menschen, die sonst keine Kirchgänger sind”. Man könnte jetzt froh sein, wie doch das Wort Gottes die Leute noch zu erreichen vermag, so man predigt, was jene beschäftigt in einer Sprache, die mitreißt, also “dem Volke auf’s Maul schaut”, wie Luther es eher deftig ausdrückte. Immerhin treten jedes Jahr Hunderttausende aus der Kirche aus. Aber nein, wenn die Bude mal voll ist, geißelt die Kirchenzeitung dies als Populismus.
Mit Rufmord und Verleumdung hatte bereits Martin Luther zu kämpfen. Sicherlich wäre auch der Reformator heute ein Hassprediger oder Oskar Brüsewitz, der aus Protest gegen den antichristlichen Kommunismus sich 1976 in Zeitz selbst verbrannte, nur um hernach von seiner eigenen Kirche als Verrückter denunziert zu werden. Hingegen ist der beste Pfarrer noch immer einer, der die Kanonen und Panzer segnet oder wie die EKD-Vorsitzende Kurschus Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet als Akt der Nächstenliebe feiert. Oder der wie Tilman Jeremias, inzwischen Sprengelbischof im Nordosten, Seit an Seit mit der linksextremistischen Antifa gegen “rechts” demonstriert, wo man den Psalm singt: “Ganz Rostock hasst die AfD!”
Freilich bleibt als Fazit stehen, dass man mit klarer und lebendiger Verkündigung auch in unseren Tagen die Menschen erreichen und die Kirchenbänke füllen kann. Die Frage nach Lebenssinn und Lebensziel stellt sich den Menschen nicht minder dringend als ehedem. Die sogenannte Amtskirche kann und will an der Stelle keine Antworten mehr liefern, paktiert lieber mit dem Zeitgeist und verfolgt jene, die ihr neues Leben einhauchen, frischen Wind in die alten Gemäuer lassen wollen. Für den damaligen Papst war Martin Luther ein wilder Eber, den es zu erlegen galt. Für die heutige Kirchenführung ist jeder Kritiker ein Hassprediger. So kann die Konsequenz nur lauten: Wir brauchen eine Reformation 2.0!
Paul von Beckendorf
Paul von Beckendorf (Jahrgang 1984) ist ein Autor und Berater. Seine Beiträge befassen sich vor allem mit den Themen Reisen und Religion. Er lebt in Mecklenburg.