“Eigentlich möchte ich nur noch weg hier”, eröffnete ich neulich einem guten Freund. Gesagt, getan … Wir stiegen in seinen nicht mehr ganz rostfreien SUV und fuhren direktemang zur nahezu komplett durchgraffitisierten Großstadt hinaus ins ländliche Mecklenburg. Dort gibt es – pssst! – immer noch Gegenden, da der sehnsuchtsvoll in die Ferne gerichtete Blick nicht von monumentalen Windkraftanlagen auf die triste Wirklichkeit des Jahres anno 2025 zurückgeworfen wird, sondern sich ungehindert in der Weite eines freien Horizonts verlieren kann. Durchatmen!
Ihr Lieben, diese Orte mit -in und -ow und -itz am Ende sind der blanke Horror für jeden progressiven Transformationszeloten. Hier weht über den Höfen nicht selten noch Schwarzrotgold (auch AfD-Banner werden hin und wieder gesichtet) und an manchem Kirchturm findet sich das Jesuswort “Selig sind, die Frieden stiften”, was auf eine gewisse Abweichung von staatlich und staatskirchlich gepredigtem Bellizismus schließen lässt. Auch selig sind übrigens die Armen im Geiste, worauf wir später noch zu sprechen kommen.
Was der Kirchturm uns sagen will, ist, dass irgendjemand den Krieg in der Ukraine beenden sollte, bevor der Brandherd auf benachbarte Grundstücke übergreifen kann. So ungefähr. Doch warum in die Ferne schweifen, wenn das Schlechte so nah ist? Wir haben doch unseren eigenen Unfrieden hier in Deutschland. Manche reden bereits von einer Art Bürgerkrieg oder sagen einen solchen zumindest für die nahe Zukunft voraus. Braucht es Maschinengewehrfeuer, Granateinschläge, Fliegerangriffe et al. für einen Krieg? Muss es zwangsläufig so sein wie im amerikanischen Bürgerkrieg 1861-65, als die zwei Hälften einer Nation mit Waffengewalt aufeinander losgingen?
Heuer hat sich vieles ja ins Internet verlagert, freilich um von dort in die reale Welt zurückzukehren und seine destruktive Energie zu entladen. So wie jüngst geschehen bei der Ermordung von Charlie Kirk durch den 22-jährigen Ex-Mormonen (kaum zu glauben, oder?) Tyler Robinson. Ich bin übrigens gegen dessen Hinrichtung, die von rechter Seite ja mit lechzender Inbrunst gefordert wird. Der Influencer Tim Kellner freute sich auf X, dass der “tote Mann” (Robinson ist gemeint und ein Prozess hat noch nicht stattgefunden) bald von “Utah auf dem elektrischen Stuhl geröstet” würde. Nun war Old Sparky in Utah nie in Gebrauch. Dort bevorzugt man das Firing Squad und neuerdings die Giftspritze.
Geschenkt … tot ist tot. Anyway. Was war der Punkt? Genau, Tyler Robinson soll wegen meiner in den Knast, gerne auch in rosa Unterhose wie seinerzeit im Reich von Sheriff Joe Arpaio üblich. Doch das war in Arizona. Er könnte frische Granitsteine aus dem Felsen kloppen für den Mormonentempel in Salt Lake City, der gerade restauriert wird. Irgendwelche nützlichen Arbeiten, von denen SED-Chef Riexinger fabulierte (anstatt die Reichen zu erschießen). Na also, fangen wir bei seinen Handlangern an. Denn etwas anderes ist der Bengel mit seiner verwirrten Transenfreundin nicht. Tyler Robinson ist Mörder wie der Soldat im Krieg ein Mörder ist, dem von seinen goldbetressten Strategen im Führungsbunker und den Politoffizieren weiter hinten im Unterstand eingebläut wurde, dass da drüben auf der anderen Seite welche wären, die keine Menschen sind und die man deswegen töten müsse.
So ein Agitator des Bösen ist der im ÖRR omnipräsente “Experte” Thomas Jäger, ist Dunja Hayali, ist Elmar Theveßen (Kennt Ihr noch Elmar Gunsch? Das waren noch Zeiten, als der Name Elmar für gute Stimmung stand). Es sind all jene, die uns ständig einreden, Deutschland stünde vor einem neuen 1933, Carsten Linnemann sei die Reinkarnation des Franz von Papen und wolle die NSDAP … pardon die AfD an die Macht bringen. Wer so etwas tagein und tagaus – Richard Grenell hat da sooo recht – aerosoliert wie Gift, nimmt in Kauf, nein will, dass sich ein Tyler Robinson oder eine Simon “Maja” T. aufmacht und ermordet oder es zumindest versucht, was es für den Wiedergänger Hitlers hält.
Uns, die wir nicht links und grün und progressiv sein wollen, wurde nun der Krieg erklärt. Er wird in den USA mit dem Gewehr geführt, in Deutschland einstweilen mit dem Hammer. Noch weiß die Rechte nicht so recht, wie sie auf diese Herausforderung reagieren soll. Mit Gewalt auch?
Das würde Begeisterung auslösen bei all den Kräften, die händeringend nach Vorwänden suchen, die AfD mit halbwegs legalem Anstrich zu verbieten, wohl wissend, dass das Zeitfenster für solch ein totalitäres Husarenstück immer enger wird.
Es hat sich oft genug schon gezeigt, dass es eine Konfliktpartei am meisten aus der Façon brachte, wenn der Gegner sich völlig anders verhielt als erwartet. Wie also umgehen mit jenen, die Debatten verweigern, ja sie sogar mit Gewalt ersticken wollen? Gleiches mit Gleichem vergelten, Zahn um Zahn und Auge um Auge oder den Weg wählen, den Abraham Lincoln in seiner zweiten Antrittsrede wenige Wochen vor Ende des Sezessionskrieges so beschrieb: “Ohne Arg gegenüber irgendjemandem, mit Barmherzigkeit gegenüber allen, mit Festigkeit im Recht, wie Gott es uns erkennen lässt, lasst uns danach streben, die begonnene Arbeit zu beenden, die Wunden der Nation zu verbinden, für den zu sorgen, der die Schlacht geschlagen hat, und für seine Witwen und Waisen, und alles zu tun, was einen gerechten und dauerhaften Frieden unter uns erreichen und bewahren kann.”
Diese Haltung – keine Rache, sondern Heilung – war wegweisend. Und doch zeigte sich schnell: Versöhnung braucht Zeit. Der Wiederaufbau (Reconstruction) brachte neue Konflikte, viele Wunden blieben offen. Tatsächlich dauerte es Generationen, bis die schlimmsten Narben verheilten. Die Hintergrundstrahlung dieses schlimmsten aller Kriege auf amerikanischem Boden ist bis heute deutlich spürbar. Lincoln wurde kurz darauf erschossen. Wer den Konflikt braucht und darob schüren muss, kann Versöhnung und Ausgleich nicht hinnehmen. Deswegen starb auch Charlie Kirk wie vor ihm Martin Luther King – ein später Nachhall des Bürgerkriegs, den verantwortungslose Akteure erneut heraufbeschwören.
Was wir daraus lernen können
1. Spaltung verschwindet nicht über Nacht. Wer meint, dass ein Appell oder ein “großer Wurf” die Gesellschaft sofort einen könne, irrt. Es ist ein langer, mühsamer Weg.
2. Es braucht klare Prinzipien. Lincoln hielt unbeirrt an den Grundwerten fest: Freiheit, Union, Gerechtigkeit. Ohne solche Prinzipien versinkt eine Gesellschaft in Beliebigkeit.
3. Es braucht zugleich Nachsicht. Die Sieger hätten die Besiegten demütigen können. Doch Lincoln und auch Generäle wie Ulysses S. Grant verzichteten bewusst auf Rache. Versöhnung beginnt dort, wo man dem Gegner trotz aller Gräuel die Tür zurück in die Gemeinschaft offenlässt.
4. Es braucht Geduld über Generationen. Gesellschaftliche Heilung ist kein Sprint, sondern ein Staffelstab, der weitergegeben wird.
Was der Einzelne tun kann
Große historische Beispiele sind wichtig. Doch entscheidend ist, wie wir im Kleinen handeln:
• Gelassen bleiben: Wer im Streit sofort zurückschlägt, bestätigt nur das Weltbild des Gegners. Innere Ruhe ist eine stille, aber starke Waffe.
• Den Menschen vom Argument trennen: Man darf die Haltung ablehnen, ohne die Person abzuwerten. Das verhindert, dass Fronten sich verhärten.
• Zuhören, ohne nachzugeben: Zuhören heißt nicht zustimmen. Es heißt, den anderen ernst zu nehmen – und oft ist das schon der erste Schritt zur Entschärfung.
• Grenzen setzen: Respektvoll ja, naiv nein. Gewalt oder gezielte Diffamierung dürfen nicht hingenommen werden.
• Das Gute sichtbar machen: Statt nur gegen etwas zu sein, kann man eigene konstruktive Ideen stark machen – und so Alternativen aufzeigen.
Wir stehen inzwischen am idyllischen Malchiner See. Oberhalb der Uferböschung liegt das Dorf Bülow mit seiner typischen Kirche im Stil einer Zeit, da diese Gegend erst christianisiert wurde und an Konflikten nicht gerade Mangel litt. Es ist eben immer etwas los gewesen in unserem Land und wir sollten desterwegen nicht glauben, etwas Besonderes zu sein.
Nur ist Bülow schon besonders, denn hier lernten wir einen evangelischen Pastor kennen, dessen Familie Anfang 1990 (damals noch in Lobetal bei Berlin) für ein paar Monate dem Ehepaar Honecker Asyl gewährte. Drinnen saß das gestürzte First Couple der moribunden DDR und draußen tobte der Volkszorn und dürstete nach Rache. Pastor Uwe Holmer stand seinerzeit in der Einfahrt zum Pfarrhaus wie der alttestamentarischer Prophet vor den tobenden Fluten des Roten Meeres. Viele verstanden seine Haltung nicht. Der Gottesmann blieb unbeirrt – trotz aller erlittenen Repressionen durch das kommunistische Regime. Wie wir erfahren haben, debattierte man recht intensiv. Doch wurde aus Honecker kein Christ und Holmers konvertierten nicht zum Marxismus.
Das funktionierte damals noch. Nicht nur in Pfarrhäusern. Bei uns in Rostock verkehrten wir ab Ende 1989 im Café Trude, ein vormaliger Untertrikotagenladen (so etwas gab es wirklich), wo sich ähnlich einem der legendären Wiener Kaffeehäuser alles traf, was mehr oder weniger politisiert (und das waren wir alle in jenen Tagen) unterwegs war und seine Meinung mit anderen teilen wollte. In den Regalfächern lagen statt Feinrippliebestötern und Büstenhaltern die handkopierten Pamphlete von Vereinen und Parteien jeder Couleur, die nach “Das tritt nach meiner Kenntnis … ist das sofort – unverzüglich” wie Pilze aus dem Boden schossen. Wer kennt heute noch die DBU, die Deutsche Biertrinker Union? Brandmauern gab es nur zu den beiden Nachbarhäusern.
Diese offenen Debattenkultur über die Zukunft eines siechen Staates war auch deshalb möglich, weil es im Wendeherbst tatsächlich nur einen Graben gab und der verlief zwischen dem Volk und der sich noch verzweifelt an ihre rasant schwindende Macht klammernden Obrigkeit. Georg Büchner proklamierte 1834 im “Hessischen Landboten” die berühmte Parole des Vormärz: “Friede den Hütten! Krieg den Palästen!” Da ist was dran. Am Ende wird wohl nur Ruhe einkehren, wenn die Bürger begriffen haben, dass sie letztlich alle in den Hütten sitzen. Wenn Frieden kommt, dann von dort.

Daniel Heeremann
Daniel Heeremann (Jahrgang 1968) ist Antiquar und Sachverständiger. Er sammelt historische Bücher und betrachtet die Gegenwart gerne durch das Prisma der Geschichte. Seine Lieblingsorte sind alte Bibliotheken und deren Geheimnisse.